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Wie sind die Märkte 2020 zu verstehen?

Januar 2020

Wenn man hilfreiche Überlegungen zu den Aussichten der Märkte anstellen will, ist es interessant, sich anzuschauen, wie sie dorthin gekommen sind, wo sie heute sind. Wie sah also diese Dynamik noch bis vor einigen Monate aus? Sie war wie immer das Ergebnis des Zusammenspiels ihrer drei Haupttriebkräfte: der wirtschaftlichen Realität, der Anlegerstimmung, die von Überschwänglichkeit bis Panik und zurück reichen kann, und schließlich der schwankenden verfügbaren Liquidität, die das Ganze in den Marktpreisen widerspiegelt.

Die wirtschaftliche Realität ist seit etwa zehn Jahren von einer insgesamt schwachen, aber positiven Dynamik gekennzeichnet. Mühsam konnte sie sich von der großen Krise von 2008 und jener von 2011 in Europa erholen. Verstärkt wurde dies von zwischenzeitlichen Mini-Zyklen. Zu Letzteren kam es während der kurzen Erholung 2012-2013, auf die der Einbruch 2014-2015 folgte, dann wiederum fand 2016-2017 ein erneuter Aufschwung statt, gefolgt von der Konjunkturabkühlung von 2018-2019. Die entscheidende Frage, die sich für die Wirtschaft stellt, lautet, ob es 2020 wieder einen Mini-Aufschwung gibt oder sich die Abschwächung fortsetzt.

Die Stimmung der Anleger spiegelte sich natürlich in der Wahrnehmung dieser Mini-Konjunkturzyklen und der Auswirkungen der Geldpolitik wider. Aber sie war auch sensibel für die starken politischen Ungewissheiten. Der Beginn der feindseligen Handelspolitik Donald Trumps und das zunehmende Risiko eines harten Brexits hatten Ende 2018 unter den Anlegern eine Panikwelle ausgelöst. Dieser Schrecken ließ jedoch im Laufe des Jahres 2019 allmählich wieder nach. Dies geschah im Zuge der Beendigung der geldpolitischen Straffung, wich jedoch erst zum Jahresende einer Ausgelassenheit, die getragen wurde von einer de facto Neuauflage der quantitativen Lockerung in den USA, der Einigung auf einen geregelten Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union und der Nachricht von einer bevorstehenden ersten Einigung im Handelskonflikt zwischen den USA und China. Für 2020 muss man sich somit die Frage stellen, was in den Anlegern den Wunsch wecken könnte, sich anders zu positionieren als heute.

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Und schließlich zeigt sich die Geldpolitik – d. h. die Bereitstellung von Liquidität – weltweit seit zehn Jahren sehr akkommodierend. Doch ihre Schwankungen spielten, wie es sich gehört, eine bedeutende Rolle bei den Mini-Zyklen und hatten entscheidenden Einfluss auf die Entwicklungen der Märkte. Zuletzt hat die der allmählich schwächelnden Weltwirtschaft entgegenwirkende erneute Straffung der Geldpolitik, die von der Fed Ende 2018 eingeleitet wurde, eben diese Abschwächung verschärft. Sogar eine Rezession schien möglich, was sich als schwere Belastung für die Aktienmärkte erwies. Die Kapitulation der Fed Anfang 2019 wirkte hingegen wie ein starker Motor des sich im weiteren Jahresverlauf beschleunigenden Aufschwungs der Aktienmärkte, der ein Wachstum der Unternehmensgewinne nahe null, und zwar auf beiden Seiten des Atlantiks, vergessen ließ. 2020 wird die Haltung der Zentralbanken, insbesondere die der Fed nach ihrer äußerst spektakulären Kapitulation im vergangenen Jahr, von entscheidender Bedeutung sein.

Berücksichtigen wir, wie sich die drei treibenden Kräfte des Marktes entwickeln, gehen wir davon aus, dass die Märkte 2020 eher auf gutem Kurs sein werden. Es kann aber zu einigen Zwischenfällen kommen.

Gegenwind für den Konjunkturaufschwung


In China finden wir einen immer größeren Teil unserer Anlagegelegenheiten in Aktien


Das Bild, das sich aus den uns zu Beginn dieses Jahres zur Verfügung stehenden Konjunkturdaten ergibt, bestätigt, dass die beiden wichtigsten Lokomotiven des Weltwirtschaftswachstums weiterhin ächzen.

In China lassen die jüngsten, im Dezember veröffentlichten Indikatoren für die Binnenwirtschaft (Einkaufsmanagerindizes und ihre Komponenten) immer noch eine moderate Abschwächung im Dienstleistungssektor und eine deutliche Abschwächung im Bausektor erkennen. Investitionsprojekte der Unternehmen sind nach wie vor schwach, und der Anstieg der Gewinne kehr sich um. In diesem Stadium handelt es sich nicht um einen erneuten Abschwung, sondern vielmehr um ein leichte Stabilisierung des Wachstums der chinesischen Wirtschaft. Die reicht zwar aus, um bei asiatischen und europäischen Unternehmen kurzfristig eine Aufstockung von Lagerbeständen anzuregen, aber sie ist zu schwach, um einen nachhaltigen globalen Aufschwung anzutreiben. Das dürfte nicht weiter überraschen. Denn die von Peking umgesetzten Unterstützungsmaßnahmen sind heute deutlich geringer als die, die 2016 ergriffen wurden, um seinerzeit die Maschine wieder anzukurbeln. Die chinesische Regierung und die chinesische Volksbank haben sich dieses Mal entschieden, auf eine Flucht nach in Form eines massiven Konjunkturprogramms oder einer Geldpolitik im Stil der westlichen Welt zu verzichten. Die privaten Schulden einzudämmen und die Kapitalflüsse zu stabilisieren, sind für Xi Jinping die strategischen Prioritäten bei der Ankurbelung des Wachstums. Das Handelsabkommen mit den USA wird sich positiv auf diese Stabilisierung auswirken und dürfte die chinesische Währung stärken. In China finden wir übrigens heute einen immer größeren Teil unserer Anlageopportunitäten in Aktien.

In den USA sorgt das Maß der „Finanzialisierung“ der Wirtschaft dafür, dass der starke Anstieg des Aktienindex S&P500 zum Ende vergangenen Jahres, der weitgehend von der Fed inszeniert wurde, immer noch die Stimmung der Amerikaner verbessert und die wichtige Säule des Wachstums, den Konsum, stützt. In Verbindung mit der klassischen Aufstockung von Lagerbeständen könnte das ausreichen, um für den Beginn des Jahres 2020 eine positivere Wirtschaftsdynamik zu schaffen. Doch dieser punktuelle Reichtumseffekt ändert nichts am Wachstumspotenzial der amerikanischen Wirtschaft. Nach unserer Einschätzung dürfte es mangels ausreichender Produktivitätssteigerungen nicht über 2 Prozent liegen. Ähnlich wie im Falle von China verdeutlichen die ganz zu Anfang des Jahres veröffentlichten Wirtschaftsindikatoren weiterhin die Schwäche der US-Fertigungsindustrie (der ISM-Index für das verarbeitende Gewerbe war im Dezember gegenüber dem Vormonat noch einmal von 48,1 auf 47,2 zurückgegangen) und unterstreichen das Risiko, dass diese Schwäche allmählich auf den Dienstleistungssektor übergreift, der sich bislang sehr gut behaupten konnte. Ein günstiger Basiseffekt und die Beseitigung des Risikos einer Eskalation im Handelskrieg könnten eine Stabilisierung oder gar einen leichten Aufschwung im weltweiten Fertigungssektor bewirken. Aber aus unserer Sicht sind wir noch weit von der Dynamik entfernt, die 2016-2017 eingesetzt hatte.

In Europa dürfte die Wirtschaft kurzzeitig von besagtem Aufschwung profitieren, aber gleichermaßen unter dessen Schwäche leiden (der Markit-Einkaufsmanagerindex für das fertigende Gewerbe der Eurozone für den Dezember liegt mit 46,3 weiterhin im Bereich der Rezession). Diese Aussichten veranlassen uns dazu, Growth-Aktien mit hoher Transparenz weiterhin überzugewichten (siehe Carmignac’s Note vom Dezember „Weshalb Conviction-Management?“ ).

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Orientierungslose Anleger

Zu einem Zeitpunkt, zu dem die geldpolitische Unterstützung und das Schwinden des Katastrophenszenarios die Vorliebe der Anleger für Aktien wiederbeleben, sorgt die Trump-Regierung für eine neue Front der Ungewissheit im Nahen Osten. Gleichzeitig werden nach einem engen Terminplan die Verhandlungen zwischen Großbritannien und der Europäischen Union über die künftigen Handelsbeziehungen beginnen, wie auch die zweite Runde der chinesisch-amerikanischen Verhandlungen. Zudem wird der Kalender für die amerikanischen Vorwahlen demnächst mehr Klarheit darüber schaffen, gegen wen Donald Trump bei den Präsidentschaftswahlen im November antreten wird, was für die Märkte von großer Bedeutung ist.

Daher könnte die wiedergewonnene Zuversicht der Anleger, die beim Anstieg der Märkte im vergangenen Jahr eine wichtige Rolle spielte, 2020 mehrfach erschüttert werden. Wir gehen davon aus, dass ein geschicktes Management des Betas der Portfolios, d. h. die Schwankung ihres Exposures gegenüber den Marktrisiken, beim Generieren von Performance eine bedeutendere Rolle spielen wird als 2019.

Zentralbanken zwischen Aktivismus und moralischem Risiko


Der US-Dollar muss womöglich für die Flucht nach vorn der Fed die Zeche zahlen


Neben der Wiederaufnahme des Anleihenkaufprogramms durch die EZB muss man das Ausmaß des erneuten ungewöhnlichen Aktivismus der Fed im Jahr 2019 zur Kenntnis nehmen. Seit September vergangenen Jahres hat die Fed über 400 Milliarden US-Dollar in das amerikanische Finanzsystem gepumpt. Damit wächst ihre Bilanz in etwa so schnell wie zu Spitzenzeiten der Finanzkrise vor sieben oder acht Jahren. Dabei handelt es sich de facto um eine geldpolitische Lockerung, die in weniger als vier Monaten die Hälfte der seit Beginn 2018 vorgenommenen Straffung wieder rückgängig gemacht hat.

Die technischen Bedingungen im Umfeld dieser massiven Intervention der Fed bei der Interbankenfinanzierung in den USA sind komplex. Doch sie kommen angesichts der gesetzlichen Sachzwänge offensichtlich einem Mangel an Reserven in der Bilanz der amerikanischen Banken nah – und das zu einem Zeitpunkt, zu dem die amerikanische Staatskasse durch die Emission von Anleihen ein Defizit von über 1 Billion US-Dollar finanzieren muss und die Robustheit der amerikanischen Währung internationale Anleger nicht gerade dazu verleitet, diese Schuldtitel zu kaufen. Die Fortsetzung oder Einstellung dieser enormen Liquiditätsspritzen ist einer der entscheidenden Faktoren für die Zukunft der Märkte im Jahr 2020.

Vor diesem Hintergrund sind die Schlussfolgerungen, die aus der von der Fed im vergangenen Jahr eingeleiteten Überprüfung ihrer Geldpolitik gezogen werden und die in der ersten Jahreshälfte veröffentlicht werden dürften, von äußerst großer Bedeutung. Die Fed ist gewiss nicht erpicht darauf, auf ihre Unabhängigkeit zu verzichten. Sie dürfte sich nicht explizit bereit erklären, die Erhöhung der US-Staatsschulden zu monetisieren, d. h. direkt zu finanzieren, die durch die Haushaltspolitik der Trump-Regierung verursacht wurden. Doch in den vergangenen zwei Jahren hat sich bestätigt, dass es der Fed technisch nicht möglich ist, ihre Unterstützung für die Märkte zurückzufahren, ohne dabei heftige Turbulenzen auszulösen. Zudem sind die Inflationserwartungen weiter unter Kontrolle und lassen der Fed immer noch einen großzügigen Handlungsspielraum. Das mittlerweile prekäre Gleichgewicht zwischen aktiver Unterstützung und dem Wunsch, sich dem Vorwurf des moralischen Risikos zu entziehen, dürfte im Jahr 2020 eine der drängendsten Herausforderungen sein, für die der US-Dollar womöglich die Zeche zahlen muss. Unsere Berücksichtigung dieses Risikos zeigt sich seit einigen Monaten erstmals in der Absicherung des Währungsrisikos unserer Anlagen gegenüber dem Dollar.

Bilanz der Fed (in US-Dollar)
Quelle: Bloomberg, 01/2010

Fazit

Wir kommen zu dem Schluss, dass die Interaktion der drei wichtigsten Motoren des Marktes für 2020 eine Alternative erkennen lässt, die wesentlich weniger binär ist als in den vergangenen beiden Jahren. 2018 begann mit einer sehr optimistischen Positionierung der Anleger, die sich offensichtlich kaum Gedanken machten über die Gefahren einer angekündigten geldpolitischen Straffung in Volkswirtschaften, die sich im Abschwung befanden. Der Beginn des Jahres 2019 stand dafür im Zeichen eines extremen Pessimismus, der eine günstige Asymmetrie der Marktrisiken nahelegte, die sich unmittelbar mit einer Kehrtwende der US-Geldpolitik und später mit einem Nachlassen der politischen Risiken konkretisierte.

Heute gibt es keine Spur einer Polarisierung dieses Ausmaßes. Trotzdem sind die Märkte noch im Rausch der Jahresenddynamik. Das macht sie zunehmend verwundbar für politische bzw. geldpolitische Fehler. Insofern denken wir, dass im Gegensatz zu 2019 in diesem Jahr weniger eine trendorientierte als vielmehr eine wirklich aktive Verwaltung gefragt ist.

Quelle: Carmignac, Bloomberg, 31/12/2019

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