Carmignac's Note
Die Bewältigung der Inflation erfordert Kühnheit und Optimismus!
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Frédéric Leroux, Mitglied des Strategic Investment Commitee von Carmignac, stellt drei Faktoren vor, die angesichts der Rückkehr der Inflation in Europa zu beachten sind.
Derzeit liegt das Hauptaugenmerk auf der Inflation. Wie lautet Ihre Einschätzung dazu?
Frédéric Leroux: In Europa dürfte die Inflation ab September deutlich zurückgehen. Doch ist somit eine rasche und dauerhafte Rückkehr zum Zustand vor der Pandemie zu erwarten? Das halten wir für unwahrscheinlich. Nachdem sie zunächst geleugnet, dann heruntergespielt und schließlich als vorübergehend abgetan wurde, ist die Inflation inzwischen für alle harte Realität die man nicht wegdiskutieren kann.
Wie können wir dieser neuen Realität begegnen?
F.L.: Wer glaubt, man könne die Inflation zügeln, ohne viel Schaden anzurichten, macht sich angesichts der sie erneut befeuernden strukturellen Kräfte (eine weniger spar- und investitionsfreundliche demografische Entwicklung, der globale Handel stagniert, Energiewende etc.) zweifellos etwas vor. In Anbetracht dieses neuen Umfelds, das sich gegen unseren Willen etabliert, sollten in Europa drei wichtige Faktoren genau betrachtet werden: höhere Reallöhne (d. h. inflationsbereinigt), die Reindustrialisierung zur Reduzierung der energetischen und industriellen Abhängigkeiten sowie die angestrebte Vereinbarkeit von Wirtschaftsethik und -effizienz.
Als ersten Schritt müsste man die Einkommen erhöhen ...
F.L.: In den USA sind die Löhne um durchschnittlich 6% gestiegen, während sich die Inflation nach einem Anstieg auf 8,5% offenbar bald abschwächen dürfte. Diese erwartete Verlangsamung der Teuerung lässt auf ein willkommenes Wachstum der Reallöhne jenseits des Atlantiks hoffen, wo sich die Arbeitnehmer wieder in einer günstigen Verhandlungsposition befinden.
Wie sieht es in Europa aus?
F.L.: In Europa sind die Löhne lediglich um 1,5% gewachsen, während die Teuerung auf etwa 7,5% gestiegen ist. Diese Lücke wird zwar teilweise durch verschiedene Hilfsmaßnahmen ausgeglichen – Energiegutscheine, Tankrabatte, Lebensmittelgutscheine für Einkommensschwache – aber das können nur vorübergehende Lösungen sein. Denn diese Maßnahmen belasten die öffentlichen Haushalte, erhöhen die Abhängigkeit der Privathaushalte vom Staat und verhindern natürliche Anpassungen, indem sie die tatsächliche Preisentwicklung verschleiern.
Welche Risiken birgt diese Situation?
F.L.: Wenn die Regierungen keine wirksamen Schritte einleiten, um die Lücke zwischen dem Einkommen der Haushalte und der Inflation wenigstens teilweise zu schließen, besteht das Risiko, dass die Menschen in Europa auf die Straße gehen.
Es besteht also dringender Handlungsbedarf ...
F.L.: Regierungen, die den Lohnerhöhungen der Arbeitgeber den Weg ebnen müssen, sollten diesem Problem rasch vorgreifen und ihren auf Preisstabilität ausgerichteten wirtschaftlichen Ansatz der letzten Dekaden anpassen. Tatenlosigkeit würde uns einer ausgeprägteren Rezession aussetzen, die wohl nicht zu einer dauerhaften Stabilisierung der Preise führen und zudem weiteres Schuldenwachstum mit sich bringen würde. In diesem Fall wären aller schlechten Dinge drei!
Sie haben die Reindustrialisierung Europas angesprochen …
F.L.: Europa muss sich mit seinen industriellen, militärischen und energiebezogenen Abhängigkeiten auseinandersetzen, die durch die beiden aufeinanderfolgenden Krisen – Covid 19 und der Ukraine-Krieg – auf schonungslose Weise aufgedeckt wurden. Die daraus resultierende Notwendigkeit ist für die betroffenen europäischen Länder eine Chance zur Reindustrialisierung. Frankreich beispielsweise ist ein vielversprechender Kandidat, zumal das Land aufgrund seines Bezugs zu atomarer Energie über einen großen Wettbewerbsvorteil verfügt – insbesondere, wenn die entsprechenden Anlagen ausgebaut und modernisiert werden. Kein Land kann für sich beanspruchen, eine Industrienation zu werden oder zu bleiben, wenn es seine Energieversorgung nicht kontrolliert.
Was sind die Vorteile einer solchen Reindustrialisierung?
F.L.: Die Industrie wartet aufgrund der erforderlichen Qualifikationen und der steigenden Produktivität mit gut bezahlten Arbeitsplätzen auf. Kleine Jobs im Dienstleistungssektor wie beispielsweise bei Lieferdiensten besitzen zwar unbestritten Vorteile, stoßen aber auch an ihre Grenzen. Die Reindustrialisierung könnte zudem einen Anlass dafür darstellen, dass die Haushalte ihre Ersparnisse in Vermögenswerte umwandeln, deren Zinsen sich an Staatsanleihen orientieren, da diese selbst in Zeiten der Inflation Gewinne erzielen können.
Sind Mitarbeiterbeteiligungen auch eine Möglichkeit?
F.L.: Eine verstärkte Beteiligung der Arbeitnehmer am Ergebnis ihres Unternehmens unter Einhaltung von Regelungen, die ein Minimum an Anreizen und Schutz miteinander verbinden, wäre eine gute, ergänzende Maßnahme, um die Einkommen an die Inflation zu koppeln. Erst vor Kurzem haben verschiedene große Unternehmen neue Programme zur Förderung der Mitarbeiterbeteiligung angekündigt.
Kommen wir zum dritten Faktor: Wie lassen sich wirtschaftliche Ethik und Effizienz miteinander in Einklang bringen?
F.L.: Der dritte Faktor stellt eine Ergänzung der beiden ersten Säulen dar. Voraussetzung dafür ist ein Wirtschaftsverständnis, das auch die Erkenntnis mit einschließt, dass man den Wunsch nach einer moralischeren Wirtschaft nicht lange vom Wirklichkeitsprinzip abspalten kann. Dies gilt gleichermaßen für die Geopolitik wie auch für die energiebezogenen Abhängigkeiten.
Was bedeutet das?
F.L.: Die Verfügbarkeit von Energie basiert auf physischen Faktoren, die wir nicht ignorieren können. Das aktuelle Umfeld zeigt deutlich, dass bei der Energiewende ein zu schnelles Tempo angestrebt wurde, was zur Inflation beiträgt und das Risiko eines Ungleichgewichts zwischen Energieangebot und -nachfrage erhöht. Wenn sich die „folgenreichsten“ politischen Entscheidungen wieder verstärkt am Wirklichkeitsprinzip orientieren, könnte das aktuelle Umfeld mit etwas Kreativität und Kühnheit der Beginn einer Phase sein, in welcher der Wohlstand breiter geteilt wird.
Wie ein neues Wirtschaftswunder?
F.L.: Der vor uns liegende Zeitraum weist vielleicht wirklich einige Ähnlichkeiten mit den Jahren des Wirtschaftswunders von 1950 bis 1980 auf, die in Frankreich auch als „Les Trente Glorieuses“ bekannt sind: ein tendenziell inflationäres Umfeld, Wiederaufbau durch Reindustrialisierung und Unterstützung der Mittelschicht, durch die eine positive Wirtschaftsdynamik gefördert wird ...
Was sind die Folgen dieser Entwicklungen für die Anleger?
F.L.: Die Rückkehr der Inflation hat tiefgreifende Folgen für die Vermögensverwaltung. Sie könnte überdies nach einer zwölfjährigen Pause die Rückkehr zu einer Wirtschaft einläuten, die durch Zyklen mit steigendem bzw. sinkendem Bruttoinlandsprodukt (BIP) geprägt ist. Ein solches Umfeld begünstigt eine variierende Performance der Finanzanlagen (Aktien oder Anleihen, Dollar oder Gold usw.). Der aktive Anlageprozess, der sich dadurch auszeichnet, die Wendepunkte der Konjunkturzyklen rasch zu erkennen, wird in dieser bevorstehenden Phase des Wandels wieder an Bedeutung gewinnen.
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Was versteht man unter einem aktiven Anlageprozess?
Unter einem aktiven Anlageprozess bzw. einer aktiven Verwaltung versteht man die Auswahl von Finanzanlagen (Aktien, Anleihen, Währungen usw.), die sich besser entwickeln dürften als andere Anlagen, sowie die Anlage in diesen Vermögenswerten zum bestmöglichen Zeitpunkt. Bei einer passiven Verwaltung hingegen soll ein Börsenindex nachgebildet werden.
Bronnen: Carmignac, Bloomberg, 17/05/2022